Dr. Michael Winterhoff referierte am FSG

Dr. Michael Winterhoff bei seinem Vortrag in der Aula des FSG.

Dr. Michael Winterhoff bei seinem Vortrag in der Aula des FSG.

Immer mehr Heranwachsende weisen Defizite in sozialen Kompetenzen auf und scheitern an der Integration in das Arbeitsleben. Diese Problematik stellte der Kinder- und Jugend-Psychiater Dr. Michael Winterhoff bei einem Gastvortrag am FSG dar.

Rund 200 Zuhörer waren zu der Veranstaltung gekommen – das gesamte Lehrer-Kollegium, aber auch Eltern sowie Kollegen der benachbarten Grundschulen.

„Früher gab es zwei auffällige Kinder pro Klasse, heute sind es zwei unauffällige Kinder in jeder Klasse“, sagte Winterhoff zum Einstieg in seinen Vortrag. Er stellte die Problematik dar, dass 60 Prozent der Schulabgänger nicht in der Lage seien, vernünftig arbeiten zu gehen: Sie hätten keine Arbeitshaltung, seien unpünktlich, könnten nicht priorisieren, würden Strukturen und Abläufe nicht erkennen. Und für diese Problematik betrieb Winterhoff Ursachenforschung.

Er erläuterte seine These, dass sich immer mehr Erwachsene in gravierenden, unbewussten Beziehungsstörungen gegenüber ihren Kindern befänden. Die Kindheit sei abgeschafft worden, Kinder würden wie kleine Erwachsene behandelt werden. Der Psychologe kritisierte moderne Konzepte von Erziehungseinrichtungen, angefangen beim Kindergarten: „Früher gab es feste Abläufe, gleiche Gruppen, dieselben Erzieher für die Kinder – heute werden die Kinder immer öfters mit diffusen Situationen konfrontiert.“

Winterhoff erläuterte dies auch am Beispiel der Schulen, wo Lehrer nicht mehr die wichtige Bezugsperson seien, sondern wo immer offener gelernt würde, wo es in den Klassenräumen neben Gruppentischen auch bunte Plakate an den Wänden, Kuschel-Ecken, offene Regale und Vieles mehr gäbe, was vom Unterricht ablenke. „Das Kind ist heute auf sich gestellt, soll selbst entscheiden, was es macht und lernt. Das kann nicht funktionieren – es führt zu einer eklatanten Absenkung des Niveaus“, sagte Winterhoff.

Der Gastredner kritisierte auch die Haltung vieler Erwachsener – ob Eltern oder Lehrer – die partout vom Kind geliebt werden möchten. Dies führe in eine Abhängigkeit vom Kind. „Das Denken: ‚Wenn ich vom Kind geliebt werden will, darf ich es nicht kritisieren‘ führt zu einer Machtumkehr“, sagte Winterhoff.

Als weiteres Problem erläuterte er den Begriff der Symbiose, dass also ein Kind im Rahmen einer psychischen Verschmelzung vom Erwachsenen als Teil seiner selbst wahrgenommen werde: „Wenn dem Erwachsenen die persönliche Zufriedenheit fehlt, wird plötzlich das Glück des Kindes zum persönlichen Glück. Der Erwachsene geht sozusagen fürs Kind in die Schule, es ist sein eigener Arm, den es steuern möchte – das geht aber in der Praxis nicht!“

Diese gesellschaftlichen Fehlentwicklungen würden verhindern, dass Erwachsene für Kinder ein klares Gegenüber sind – ein Gegenüber, das für eine gesunde Entwicklung der kindlichen Psyche und Persönlichkeit jedoch eine unbedingt notwendige Voraussetzung wäre.

Für den richtigen Umgang mit Kindern brauche man keine Bücher zu lesen – Persönlichkeitsentwicklung gehe eigentlich von alleine. „Aber nur, wenn der Erwachsene in sich ruht!“ betonte Winterhoff. „Erst wenn wir als Erwachsener selbst geerdet sind, überträgt sich unsere Ruhe auf das Kind.“

Wichtig für Kinder seien Rituale und ein fester Rahmen, der den Kindern Halt und Orientierung ermögliche. „In diesem Zusammenhang müssen Lehrer einheitlich auf das Verhalten von Kindern reagieren“, forderte Winterhoff. Es bedürfe klarer Regeln.

Sehr kritisch betrachtete der Psychiater im Übrigen auch den Umgang mit Smartphones, die zu einer völligen Reizüberflutung bei den Kindern führen würden. Diese hätten keinerlei Maß im Umgang damit, würden immer wieder abgelenkt. „Das ist ungefähr so, wie wenn ich als Erwachsener an einem Advent-Samstag in die Stadt zum Einkaufen gehe – dies darf kein Dauer-Zustand sein, denn sonst kommt es zwangsläufig zur Überforderung.“